Steigende Qualität bei zunehmender Dichte, das ist die Herausforderung.

Für ASTOC haben die Planungen an Krankenhäusern und deren Umfeld mit dem Inselspital in Bern und der Medizinischen Hochschule in Hannover begonnen. Sie sollten uns schon früh mit den wesentlichen Themen der späteren Projekte vertraut machen: einer stärker werdenden Verdichtung des überalterten Gebäudebestandes und stadträumliche und qualitative Defizite zu den benachbarten Quartieren durch ein Heranrücken der Stadt sowie die Transformation vom anonymen Großklinikum zum Gesundheitsort.

Die „Insel“, ein Universitätsspital mit internationaler Bedeutung, liegt im Zentrum von Bern und wird eingerahmt von einem gewachsenen Innenstadtquartier, einem Friedhof und den Gleisen zum nahe gelegenen Bahnhof. In einem Wettbewerbsverfahren für die zukünftige Entwicklungsstrategie des gesamten Inselareals sollte die ohnehin schon unübersichtliche Gebäudestruktur in ihrer Nutzungsdichte schlicht verdoppelt werden – ohne dass neue Grundstücksflächen hinzukommen und ohne dass es zu Einschränkungen in den klinischen Abläufen während der Umbauphasen kommt.

Anna-Seiler-Haus · Hauptgebäude Inselspital · Universitätsklinik Bern

Das vielerorts stetige Streben nach Verdichtung der städtebaulichen Struktur hat sicherlich seine Ursache in der sich ändernden Patientenstruktur und der fortschreitenden Technisierung in der Medizin. Nur eine hohe Auslastung der Behandlungsbereiche und kurze Aufenthaltszeiten der Patient:innen im Krankenhaus selbst schaffen die Basis für einen wirtschaftlichen Betrieb. Damit wandeln sich die baulichen Anforderungen an die Flächen im Krankenhaus: Die Behandlungsflächen (Ambulatorien, Operationssäle, Forschungscluster) mit hoch installierten Bereichen werden mehr, die Flächenanforderungen für Pflege und Verwaltung mit weniger hoch installierten Bereichen werden geringer bzw. werden in die Randbereiche der Klinikareale verlagert.

Auch wenn es beim städtebaulichen Wettbewerb auf dem Inselareal in Bern um eine langfristige Entwicklungsstrategie gehen sollte, schienen uns insbesondere die ersten Phasen vor Ort schwer umsetzbar zu sein. Auf dem gesamten Gelände gab es keine freien Flächen und damit Rochadeoptionen. Zudem ist das zusätzliche Maß an baulicher Verdichtung nur dann zu erreichen, wenn neues Planungsrecht geschaffen wird, und dies braucht eine positive Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit den formulierten Bedarfen des Spitals. Die Frage nach zunehmender Dichte bei hoher stadträumlicher Qualität hat uns als Architekt:innen und Stadtplaner:innen gleichermaßen fasziniert und nachfolgend bei vielen weiteren Klinikstandorten beschäftigt.

Universitätsmedizin Göttingen

Wettbewerbsbeitrag zum Masterplan Inselspital Bern

In Hannover an der Medizinischen Hochschule wurde für uns eine weitere Entwicklung offensichtlich. Die großmaßstäblichen Gebäudestrukturen, die in den Gründungsjahren vieler Universitätskliniken der 1960er- und 1970er-Jahre entstanden sind, offenbaren heute funktionale, technische und bauphysikalische Probleme. In Bezug auf die Umsetzung von zeitgemäßen klinischen, hygienischen und betrieblichen Anforderungen erweisen sie sich als ungelenk. Für die Kliniken und ihre Betreiber stellt sich damit zunehmend dringender die Frage nach dem Umgang mit dem Gebäudebestand: Soll die gewachsene Struktur und die damit verbundenen Investitionen fortgeschrieben oder aber ein Neuaufbau initiiert werden? Wie verhält sich der Investitionsaufwand zu den Betriebskosten, die bereits nach einigen Jahren den Erstinvest überrunden und am Ende der langfristig zu tragende Kostenfaktor sind?

Die Frage einer zukunftsfähigen Entwicklung eines Klinikums ist selbstverständlich nicht immer eindeutig zu beantworten, beinhaltet aber noch einen weiteren Aspekt, der bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Unsicherheit erzeugt. Verschiedene Klinikstandorte wie in Hamburg-Altona, das Universitätsklinikum in Aachen oder der Campus Benjamin Franklin der Charité in Berlin zeichnen sich durch einen architektonisch bemerkenswerten und historisch wertvollen Gebäudebestand aus und wurden zwischenzeitlich (in Teilen) unter Denkmalschutz gestellt. Sie stehen häufig als Testimonial, als mitunter weithin sichtbares Erkennungsmerkmal für einen spezifischen Klinikstandort, der sich lokal, aber auch überregional in den Köpfen der Menschen eingeprägt hat.

Doch wie kann man ein ganzes Krankenhaus als Einzelgebäude wirtschaftlich betreiben, das in medizinischer und betrieblicher Hinsicht nur eingeschränkt anpassungsfähig ist? Und was passiert mit einem denkmalgeschützten Krankenhaus, das nach seiner Ablöse im Zentrum eines Klinikareals liegt, aber nicht mehr als Klinik genutzt wird bzw. werden kann? Eine Situation, mit der zukünftig in der Asklepios Klinik Hamburg-Altona umgegangen werden muss. Wer kann solch ein Denkmal langfristig übernehmen und welche Nutzungen können es langfristig mit Leben füllen? Auch hier fällt auf, dass ein Zusammenspiel zwischen Stadt und Kliniken entsteht – weder Stadt noch Klinik werden aus eigener Interessenlage heraus eine zukunftsfähige Entwicklungsstrategie aufstellen können.

Die Kliniken befinden sich häufig räumlich in einer zentralen Position in der Stadt. Zukünftig können und müssen die Kliniken diese Lage noch besser für sich und die Stadt nutzen. Denn auch außerhalb des klinischen Gebäudebestandes werden die Defizite, die sich aus den städtebaulichen und stadträumlichen Zielsetzungen in den Entstehungsjahren der Kliniken ergeben haben, zunehmend in den Fokus gerückt.

Wo im Rahmen der Urbanisierung in den dichter werdenden, innerstädtischen Quartieren zunehmend auf einen menschlichen Maßstab mit qualitätsvollen öffentlichen Räumen und attraktiven Erdgeschossen referenziert wird, so zeigt sich auf den Klinikarealen noch heute die städtebauliche Funktionalität der vergangenen Jahrzehnte. Weniger die Maschine, sondern vielmehr der Mensch – egal ob Patient:in, Besucher:in oder Angestellte:r – rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und fragt nach einem Umfeld, das zum Gesundwerden oder noch viel besser zum Gesundbleiben beitragen kann.

Eindrücke von der Baustelle des Anna-Seiler-Hauses.

Maßstäblichkeit, Orientierung, kurze Wege, grüne Landschaften, lebendige Stadträume und Orte zum Austausch und für die stillen Momente sind nur einige der wesentlichen Qualitätsmerkmale, die klinische Entwicklungen nun begleiten. Aber nicht nur durch eine enge Verknüpfung mit den Nachbarschaften entwickeln sich die Kliniken zu strategisch wichtigen Orten in der Stadt. Auch durch die räumliche Nähe zu weiteren öffentlichen und halb öffentlichen Nutzungen entstehen vielfältige Synergien: Übergangsnutzungen wie Pflegeeinrichtungen und betreute Wohnangebote genießen die Nähe genauso wie private klinisch-medizinische Forschungsinstitute. Selbst programmatisch weiter entfernte Nutzungen wie Hotel und (Hoch-)Schulen suchen die Nähe, die Infrastruktur (Energie, öffentlicher Verkehr etc.) und die Frequentierung der wachsenden Klinikstandorte. Es entsteht damit hier die Chance, die Klinik als einen neuen Player in der Stadt zu denken und stärker in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung zu setzen: der Klinikpark als Stadtteilpark für alle, der Vorplatz eines Klinikums als Mobilitätshub für den ganzen Stadtteil, die Klinik in der Rolle des Energieversorgers, mal eben einkaufen, Kaffee trinken oder Fortbildungsangebote und Kurse wahrnehmen im Spital.

Selbstverständlich sind die vielfältigen Anfahrbarkeiten für die Logistik des Klinikums und die Rettungswagen, für die Fußgänger:innen und die Radfahrer:innen wie auch den öffentlichen und individuellen Verkehr sicherzustellen. Warum aber kann diese notwendige Erschließungsqualität nicht für den gesamten Stadtteil als Mobilitätshub gedacht werden? Die Angestellten profitieren von einem optimal getakteten öffentlichen Personennahverkehr („around the clock“-Schichtbetrieb) und von attraktiven Fahrradrouten (zum Beispiel der Fahrradschnellweg Universitätsmedizin Göttingen). Die Nachbarschaft wird vom ewigen Parksuchverkehr verschont, der sich sonst aus dem Betrieb des Klinikums generiert. Das sind sicherlich wichtige und richtige städtebauliche und verkehrstechnische Zielsetzungen, die ihrerseits weitere Übergangsnutzungen wie Forschungscluster, universitäre Lehreinrichtungen sowie Studierenden-Wohnheime und (insbesondere in sogenannten Ballungszentren) preisgedämpfte Wohnungen für eigenes Pflegepersonal (Unternehmenswohnungen) ermöglichen bzw. anziehen. Zugleich können Bus, Tram und U-Bahnen besser und wirtschaftlicher betrieben werden.

Die bestehenden Parks der Kliniken verlieren durch die kürzeren Aufenthaltszeiten der Patient:innen an Bedeutung. Sie zeigen sich zukünftig offen als Ort der Begegnung und des Austausches von Patient:innen, Angestellten und Menschen aus den benachbarten Quartieren. Die Grün- und Freibereiche werden von den dichter werdenden Nachbarschaften dringender denn je gebraucht. Die Menschen können sich diese Räume zukünftig aneignen und bespielen oder für sportliche Aktivitäten nutzen. Diese Entwicklungen lassen Krankenhäuser mehr und mehr zu attraktiven Orten in der Stadt werden.

Natürlich wandelt sich auch das oft zitierte „Klinikum der Zukunft“ in Bezug auf die Architektur permanent. Sicher werden die zukünftigen Grundrissflächen noch stärker in hoch installierte Bereiche für Behandlung und Forschung und in weniger hoch installierte Bereiche für die Pflege und Verwaltung zu unterscheiden sein. Auch wenn dies zunächst höhere Investitionen braucht, so schafft es für spätere Entwicklungen eine Variabilität in der Nutzung selbst und ebenso für Veränderungen in der Belegung. Doch auch ein veränderliches Gebäudekonzept braucht Orientierung und innere Qualitäten (Licht, Licht, Licht!) für Patient:innen, Besucher:innen und Angestellte.

Darüber hinaus benötigen Gebäude Orte der Begegnung, Orte für die Erholung und Orte der Betriebsamkeit. Dies erinnert nicht zufällig an die Organisation einer Stadt oder eines Quartiers und lässt sich auch in die Planung eines Klinikums integrieren. Im Neubau des Herz- und Gefäßzentrums BB12, dem zentralen Hauptgebäude des Inselspitals Bern, war neben der präzisen Volumenbearbeitung das baulich-räumliche Bild der Stadt im Gebäude – unterschiedliche Adressen und Ankommensorte, die Orientierung, die Qualität der öffentlichen Verkehrs- und Aufenthaltsflächen usw. – das zentrale Motiv des Entwurfes, mit dem wir zusammen mit den schweizerischen Planungsbüros GWJ Architektur und IAAG Architekten den 1. Rang im Wettbewerb erreichen konnten.

Zwei innere „Stadtplätze“ erweisen sich als zentrale Anlaufpunkte für Patient:innen und Besucher:innen, an denen diese einerseits Informationen erhalten und andererseits einen Ort des Innehaltens finden. Die vertikalen Erschließungselemente der Lifte und Rolltreppen finden in diesen luftigen und lichten Atrien ihren Ausgangspunkt und führen die Patient:innen und Besucher:innen immer wieder an diese Orte zurück. Auf den oberen Etagen angekommen, öffnen sich „Quartiersplätze“, die eine eigene Adresse und Identität für die jeweilige Nutzung bzw. Abteilung schaffen und zugleich einen fantastischen Ausblick in die umgebende Stadtlandschaft bieten. So ist ein einfaches und schnell zu erfassendes Konzept entstanden, das auch für gesundheitlich eingeschränkte Patient:innen funktioniert.

Die Sockelgeschosse sind hoch technisiert ausgeführt und sind durch Brücken mit den benachbarten Funktionsgebäuden zu einem „durchgehenden“ Spital verbunden. Die oberen Geschosse sind für die Pflege und die Verwaltung vorgesehen und halten neben zwei attraktiven Terrassen auf allen Ebenen auch Balkone für die Pause und den Ausblick bereit.

Anna-Seiler-Haus · Hauptgebäude Inselspital · Universitätsklinik Bern

Dieser Beitrag ist erstmals 2021 erschienen in der Ausgabe "Treiber in der Stadt" unserer Publikation SPOTLIGHTS.

Fotos des Anna-Seiler-Hauses, Inselspital Bern, von HG ESCH PHOTOGRAPHY.

Das Pflegezimmer ist die allgemein sichtbare Visitenkarte eines Klinikums. Hier verbirgt sich noch viel Entwicklungspotenzial, um Attraktivität für die Patient:innen, Pflege, Hygiene und Wirtschaftlichkeit zukünftig noch besser zu vereinen. Studien zeigen, dass sich Patient:innen in qualitätsvoller Umgebung deutlich schneller von Eingriffen erholen. Dieses Wissen zielt auf die Qualität der Innenräume wie auch auf die Außenräume eines Klinikums und rückt auch im Bewusstsein der Klinikbetreiber immer stärker in den Fokus. Ziel muss es sein, dass sich das Klinikum zukünftig kaum mehr von anderen qualitätsvollen Bausteinen in der Stadt unterscheidet.

Durch die Verdichtung und Zusammenlegung von Standorten ergeben sich für die Kliniken städtebauliche Fragestellungen, die zunehmend auch außerhalb der eigentlichen Grundstücksgrenzen der Kliniken und unter Umständen sogar außerhalb der eigentlichen Unternehmensfürsorge liegen. Wir haben gelernt, Klinik als Stadt zu denken.