Gewonnen: Blau.Quartier Ulm. Transformation der Shopping-Mall in ein Wohnquartier

Gewonnen: Blau.Quartier Ulm. Transformation der Shopping-Mall in ein Wohnquartier


Das Team ASTOC mit bauchplan ).( gewinnt beim Blau.Quartier, der Transformation des ehemaligen Blautal-Centers in Ulm in ein Wohnquartier

Das erst 1998 eröffnete Blautalcenter in Ulm ist mit 44.500 qm BGF das größte Einkaufszentrum in Baden-Württemberg. Stark herausgefordert durch den zunehmenden Onlinehandel, durch die Covid-Pandemie und lokal bedingte Parameter lag der Leerstand im Blautalcenter zuletzt bei 80 Prozent. Nur 25 Jahre nach Inbetriebnahme wurde daher die Entscheidung zu einem grundlegenden Neuanfang getroffen: das Einkaufszentrum wird in ein Wohnquartier mit 1.000 Wohneinheiten umgewandelt. Um für diese anspruchsvolle Aufgabe die beste Lösung zu finden, wurde ein kooperatives Gutachterverfahren mit vier eingeladenen Planungsteams gestartet.

Das Team ASTOC Architects and Planners mit bauchplan ).( ist mit einem einstimmigen Votum der Jury vom 19.10.2023 als Sieger des zweiphasigen Verfahrens hervorgegangen. Dies teilten die Projektentwickler HLG Real Estate und DLE Land Development am 26.10.2023 auf einer Pressekonferenz mit.

Perspektive Hof

Blaupause

Die Transformation des Blautalcenters in ein Wohnquartier hat Modellcharakter und wird nicht nur in Ulm, sondern auch überregional auf hohe Aufmerksamkeit treffen. Es ist eine Aufgabe, die sowohl in Hinsicht auf ein nahes Ende vieler vergleichbarer Shopping-Malls als auch in punkto Nachhaltigkeit durch Weiterverwendung wesentlicher Teile des vorgefundenen Bestands als Blaupause dienen kann. Pioniercharakter hat das Projekt auch im städtebaulichen Kontext; es kann den Auftakt zu einem urbanen, durchmischten Gebiet bilden und Wohnen in einer intensiv gewerblich genutzten Umgebung verankern.

Ausgangslage und Spielräume für das Quartier

Das Blautalcenter fügt sich heute in eine Reihe großmaßstäblicher Gewerbebauten entlang der Blaubeurer Straße ein, die stadträumlich wenig Attraktivität entwickeln und nichts mit dem landläufigen Bild von Ulm gemein haben. Eine Raumkante fehlt in den meisten Bereichen, die Aufenthaltsqualität ist gering. Hiermit verglichen steht der pittoreske Raum entlang des Flusses Blau in einem maximalen Kontrast. Das Stadtregal südlich der Blau injiziert in diese Gemengelage bereits eine Pionier-Wohnnutzung, ohne die das neue Quartier kaum denkbar wäre.

Der Bestand ist – über das Untergeschoss hinaus – Herausforderung und Chance zugleich: Das Aufsetzen eines Großteils der Neubauten auf die robuste bestehende Stahlbetonkonstruktion der komplett erhaltenen Tiefgarage des Blautalcenters mit ihren großen Spannweiten und das damit verbundene, klare Raster führt zu einem Tanz in Ketten für die neue Bebauung, die aus dem Raster und der Orthogonalität ein lebendiges und räumlich vielseitiges Viertel entstehen lässt. Darüber hinaus bietet die bestehende Skelettstruktur in EG und 1. OG, beinahe wie in Corbusiers Maison Domino, auch oberirdisch den Luxus freier Grundrisse und ungewöhnlicher Geschosshöhen, der als alternative Typologie die Neubauten auflädt.

Atmosphäre durch Bestandserhalt und Wiederverwendung

Die Transformation vom Center zum Quartier ist eine Blaupause für nachhaltige Stadtentwicklung: Vom Grundsatz des Flächenrecyclings bis hin zur Wiederverwendung der Tragstrukur und einzelner Elemente. In der Materialisierung des Freiraums wird beispielsweise davon ausgegangen, dass alle identitätsstiftenden Trägermaterialien über den Rückbau der bestehenden Mall gewonnen und vor Ort wiederverwendet oder zur Wiederverwendung weiterverarbeitet werden können. Geschossdecken oder Fassadenelemente können als Wegebeläge und Platzoberflächen nachgenutzt werden. Möblierung und Ausstattung werden ebenfalls aus dem Rückbau gewonnen. Lediglich Vegetation wird in Form von Bäumen, Rank- und Dachbegrünung charakterstiftend und mikroklimatisch prägend zu einem dreidimensional durchgrünten Quartier ergänzt. Alle anderen Materialien für die Ausprägung der öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereiche sind bereits vor Ort, verlangen nach sorgfältiger Ernte, Zwischenlagerung und neuer In-Wert-Setzung in Form eines modellhaften Re-Use-Konzeptes.

Das Konzept der Blaupause sieht einen Bestandserhalt über die Tiefgarage hinaus vor, Ziel ist ein möglichst hoher Wiederverwendungsgrad der Bestandskonstruktion: Die für Wohnungsbau ungewöhnlich hohen Geschosse ermöglichen einen neuen Typus. Aufstockungen über den beiden maximal zu erhaltenden Bestandsgeschossen erzeugen eine spannungsvolle Überlagerung von Alt und Neu, die sich auch in Konstruktion und Fassade widerspiegelt. Bestehende Treppenanlagen aus dem Einkaufszentrum können ebenso an neuer Stelle eingesetzt werden wie die Holzkonstruktion des Glasdaches.

Ergänzt werden die wiederverwendeten Materialien von einem Kanon C2C-fähiger Materialien wie Holz und Keramik geprägt, Verbundwerkstoffe werden vermieden. Wo passiver Sonnenschutz sinnvoll ist, verleiht er den Fassaden ein tiefes Relief. Die Dächer werden aktiviert und zur fünften Fassade. PV-Panels bilden einen zusätzlichen Horizont und spenden zugleich Schatten für die Dachterrassen und intensive Begrünung.

Perspektive Ufer

Räume und Adressen

Anstelle der Indoor-Mall entsteht ein die Nachbarschaften verbindender Freiraum. Dieser und der Boulevard an der Blaubeurer Straße mit seinen wechselnden Tiefen bilden ergänzend zur Blau weitere Stränge im Quartier. Gekreuzt werden sie vom zentralen Quartiersplatz, der als keilförmiger Raum von der Straße über die Blau führt und die Terrasse vor dem Stadtregal mit den Plätzen an der Blaubeurer Straße verbindet.

Die Erschließung der nördlichen Gebäude erfolgt in einer urbanen Situation von der Blaubeurer Straße aus und belebt den öffentlichen Raum. Die südlichen Teile der Baufelder haben ihre Adressen an der Blau und der sie begleitenden Fahrradroute in einer parkartigen Atmosphäre.

Struktur und Höhenentwicklung  

An der Blaubeurer Straße fassen zukünftig sechs- bis siebengeschossige, in der Tiefe versetzte Gebäude den großen Raum und urbanisieren ihn. Sie setzen sich aus jeweils drei bis vier einzelnen Häusern zusammen und erhalten an ihren Enden Höhenakzente, die das Thema der Köpfe des bereits geplanten erstenBauabschnittes weitertragen und die Höfe rhythmisieren. Der Landschaftsraum der Blau ist von L-förmigen gestaffelt angeordneten Baukörpern geprägt, die sich aus zwei Bestandsgeschossen und zwei bis vier darauf aufbauenden Neubaugeschossen zusammensetzen. Die beiden Hochhäuser mit 12 und 14 Geschossen markieren die Quartiersmitte.

Freiraum

Das Freiraumgerüst spannt sich zwischen der zu einem baumbestandenen Boulevard weiterentwickelten Blaubeurer Straße und dem Grünzug entlang der Blau auf. Als inneres Erschließungselement dient eine aus der bestehenden Mall überführte Quartiersgasse als neue Typologie. Sie ist in ihrer Erscheinung von Re-Use geprägt und bildet eine verspringende, fußläufige Längserschließung, welche die neuen Nachbarschaften in einem dreidimensionalen Zusammenspiel miteinander verknüpft. Diese innere Verbindung entwickelt eine Hierarchie von verschiedenen Wegen und Plätzen und bietet eine Reihe von unterschiedlichen gemeinschaftlichen Nutzungen, darunter Urban Gardening, Gemeinschaftsterrassen oder Kinderspielflächen. Die Grün- und Freiflächen entlang des Weges sind in unterschiedlichen Höhen entwickelt, um an ausgewählten Stellen eine höhere Bodenfläche für die Bepflanzung zu gewährleisten und auch unterschiedliche Grade von Privatsphäre für die Nutzungen in den Erdgeschossen zu schaffen. Dabei sind die Re-Use Prinzipien klar sichtbar, indem beispielsweise Säulen oder ganze Bereiche der bestehenden Mall-Decks erhalten und in den Entwurf integriert werden. Zusätzlich werden vorhandene Elemente in die Freiraumgestaltung einbezogen, wie beispielsweise neue Pflasterungen oder Stadtmöbel.

Im zentralen Gelenkraum der sich überlagernden Konstruktionsraster entsteht der Quartiersplatz mit Balkonfunktion zum Fluss. Mit angelagerten möglichen Nutzungen des alltäglichen Bedarfs dient er als urbaner Alltags-Ort des neuen Stadtbausteins. Den Nutzer:Innen des Platzes wird eine Mischung aus kommerziellen und kommerzfreien Freiräumen geboten, wobei Grünflächen und Bäume Sitzmöglichkeiten und Aufenthalt im Schatten bieten.

Das Wettbewerbsverfahren

Verfahren: nichtoffenes zweiphasiges kooperatives Gutachterverfahren, orientiert an der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW 2013)

Ausloberin: Blautal Grundstück GmbH

Projektentwicklung: HLG Real Estate GmbH & Co. KG + DLE Land Development GmbH

Verfahrensbetreuung: Faltin + Sattler FSW Düsseldorf GmbH

Verfahrenszeitraum: März 2023 bis Oktober 2023

Pressemitteilung HLG Real Estate vom 26.10.2023

231026_2321_pm_ergebnisse-gutachterverfahren.pdf (156,7 KiB)